Samstag, 29. August 2009

Old School - Apropos freie Schulwahl

Zunächst einmal habe ich das hier entdeckt, ein Photo-Automat, der so »old school« ist, dass Foto sogar als Photo geschrieben wird. Da denkt man, der Schwarzweißautomat, von dem man einen ganzen Stapel Bilder im Portemonnaie mit Klettverschluss hat, den werde es immer geben: Und auf einmal ist keiner mehr da. Außer in Berlin, und eben: in Zürich. Er befindet sich überigens hier:

Größere Kartenansicht(ein P.S. zu Google-Maps, nachdem alles darüber geschrieben worden ist, was geschrieben werden konnte: Wurde da nicht etwas fotographiert, was jeder selbst hätte fotographieren können? Wenn mein Haus in Google-Maps ist - heißt das nicht einfach, dass jeder kommen kann und mein Haus fotographieren kann?)

Dann habe ich ganz old school einen Leserbrief geschrieben an die wunderbare Publikation Wir Eltern. Wie es sich für ein Schweizer Familienmagazin gehört, liegt es ganz sauber auf einer konservativen Linie, in der Geschlechterrollen etwas Unproblematisches und der status quo ein Ideal sind (man muss das Heft also nicht abonnieren), tatsächlich wurde der Leserbrief aber auch abgedruckt, und ironischerweise plädiere ich da gerade für Old School, also dafür, dass Kinder in die Schule gehen, in die sie zugeteilt werden. Man lese selbst:

Ihr Artikel versucht Situationen aufzuzeigen, in denen ein Schulwechsel angebracht ist. Das erste Beispiel, in dem die Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler aus der Sicht der Eltern gestört ist, mag zumindest für einen Klassenwechsel sprechen. Die Wahrnehmung der Eltern ist aber problematisch: Weder haben Eltern eine akkurate Wahrnehmung vom komplexen Geschehen Unterricht, weil sie auf der selektiven Wahrnehmung Lernender beruht, noch sind Eltern dazu befähigt, Lehrpersonen zu beurteilen. Diese Beurteilung wird entweder von kompetenten SchulleiterInnen oder gewählten Behördenmitgliedern vorgenommen - und das ist auch richtig so. Ein ähnliches Problem tritt bei Ihrem zweiten Beispiel zutage. Eine Mutter spricht von einem »völlig inakzeptablen Schulhaus«, an dem sie einerseits der Betonbau, andererseits der schlechte Ruf stört. Nun hat dese Frau Diebold Massnahmen ergriffen, um eine andere Schulzuteilung zu erzwingen. Das mag übertrieben erscheinen, wenn man berücksichtigt, dass ihr Sohn die Schule noch keine Lektion lang besucht hat, ethisch verwerflich erscheint es dann, wenn man an all die anderen Kinder (und ihre Eltern) denkt, welche dieses »inakzeptable Schulhaus« besuchen müssen. Freie Schulwahl ist deshalb keine wünschenswerte Neuerung für die Volksschule, weil sie privilegierten Eltern und ihren Kindern bessere Schulen, den vom schweizerischen Bildungssystem ohnehin Benachteiligten aber schlechtere Schulen zur Verfügung stellt.
Freie Schulwahl scheint den Leuten ein ideales System darzustellen, welche davon ausgehen, ihre Kinder würden dann den angenehm individualisierten Unterricht im Wohnquartier besuchen, wo es zwar Ausländer hat, aber nur zwei pro Klasse, und die sind eigentlich Schweizer, haben aber die letzten fünf Jahre in Südafrika und in Japan gelebt; während die tamilischen Kinder von nebenan weiterhin in die Schule im Quartier gehen, wo auch die Ex-Jugoslaven, Portugiesen und so weiter in die Schule gehen, weil die ja gar nicht wissen, dass es die wunderbare Schule gibt. Ja, das ist etwas zugespitzt, aber um mich zu wiederholen: Das System würde darauf basieren, dass Eltern wissen, welche Schule die richtige für ihr Kind ist. Und das ist zu bezweifeln, dass sie das wissen.

Freitag, 28. August 2009

Tutorial: How to change the location (the country) of your App Store (iTunes)

For legal reasons beyond my power of imagination certain Apps are only available through the US App Store (for example 2kgames' Civilization Revolution, AppStore-Link). Here is how you can get them in a legal way:

  1. Purchase an iTunes Card or Gift Certificate issued in the US. My source is igx4u.com, they send you the code through Email (not really cheap, but everything worked like a charm and they seem trustworthy; please leave a comment if you know better sources).
  2. Set up a new account in iTunes in the store of your choice (for example US).
  3. You then provide the code you purchased in 1. as billing option (no credit card needed) and provide an adress in the country of your choice. Best case scenario is you know someone you gives you their address, worst case scenario is google for addresses, but that might not be so legal after all).
  4. That is it - once you sync your iPod/iPhone you will be able to install the Apps. Switch back to your original iTunes subscription, sync again and your phone will access your old iTunes store again.

Montag, 24. August 2009

Richard Nixon - Eine Obsession



Währed ich Nixon vs Frost schon vor einer Weile gesehen habe und bei Mad Men schon eine Staffel mehr oder weniger hinter mir habe, habe ich mir The Assassination of Richard Nixon erst dieses Wochenende angesehen. Die Filme bzw. Folgen sind hervorragend - bezeichnend ist jedoch das enorme Interesse für Richard Nixon (das wohl für Europäer schon alleine deshalb schwer verständlich ist, weil der Präsident in den USA allegorisch für den ganzen Staat und seine Verfassung steht).
Nixon - so sicher die These von Mad Men und The Assassination of Richard Nixon - oder die Politik Nixons, welche kriminelle Methoden, falsche Versprechen und irreführende Darstellungen, generell Lügen benutzte, wird als Nullpunkt eines Gesellschaftslebens gesehen, in dem Verstellung im Beruf und im Alltag, das Spielen einer Rolle und auch generell Lügen zu einem gewohnheitsmäßigen Verhalten wurden. Ob diese These richtig ist (also ob diese Entwicklung dann begonnen hat), ist schwierig zu beurteilen. Interessant wäre die Frage, wer den in Europa als Symbolfigur dieses Wandels herhalten müsste?

Huhn oder Ei - Medien und Statistik

Die Tagesschau bietet ihren Content neu auf ihrem Videoportal an - und listet dort auch gleich eine Statistik auf, die Aufschluss darüber gibt, welche Beiträge auf das meiste Interesse gestossen sind. Wie der Tagi scharfsinnig folgert, wird die Tagesschau sich deshalb an diesen Interessen orientieren. Heuchlerisch ist diese Kritik allein deshalb schon, weil die Newsnetz-Seite seit ihrem Start mit dieser Art von Statsitik arbeitet und News in Zukunft eine Art »best-of«- bzw. »Hitparaden«-Newsnetz sein soll (oder schon auf dem Weg dazu ist).
Die grundsätzliche Frage ist die: Sollen Medien schreiben, was die Leser lesen wollen, oder sollen die Leser lesen, was die Medien schreiben wollen? Die Frage tritt überall dort auf, wo es Angebote und Nachfragen gibt; denn Angebote können Nachfrage erzeugen, Nachfragen aber auch Angebote.
Das Problem bei der eigentlich offensichtlichen Antwort, Medien sollten über diejenigen Inhalte schreiben, die bedeutsam, wichtig, informativ, relevant etc. sind, ist die Frage, wer denn letztlich darüber entscheidet, welche Inhalte das sind. Eine liberale Position wäre es, den Lesern gerade diese Kompetenz zuzuschreiben und sich deshalb an ihren Bedürfnissen zu orientieren, weil es letztlich eine demokratische Vorgehensweise ist.
Nun tendiere ich - nicht unbedingt aus rationalen Gründen - zur Haltung, dass Medienschaffende mit Selbstbewusstsein, Gespür und vielen eigenen Interessen Leser dazu motivieren können, sich mit einem Stoff zu beschäftigen, für den sie sich vorgängig nicht interessieren, diese Beschäftigung aber als Gewinn empfinden. Der Vergleich mit einem freien Abend ist vielleicht angebracht: Willst du lieber auf dem heimischen Sopha sitzen und einen spannenden Krimi schauen, oder aber die hübsch anziehen, in die Stadt fahren und dort ein elitäres Theaterstück ansehen? Wenn das Theaterstück den»so-was-könnte-man-öfter-tun«-Effekt auslösen kann (und man dafür motiviert worden ist), dann ist wohl die spontane Antwort auf die Frage nicht unbedingt die richtige.
Was aus dem Beispiel folgt, ist die Forderung nach einem richtigen Umgang mit den Statistiken: Wenn Leser auf Stories klicken, in denen es um, sagen wir, Piratenüberfälle geht, dann heißt das nicht, dass sie sich generell für Piratenüberfälle interessieren, sondern dass die Story so aufgemacht war, dass sie sich für diese Story interessiert haben. Zu fragen wäre dann weiter, welche Beiträge wie lang angeschaut werden, und wie diese Beiträge geschrieben worden sind - nicht nur, worum es darin ging. Leser sind durchaus mündig - aber auch in der Lage, eine Herausforderung anzunehmen.

Samstag, 22. August 2009

Migros- oder Coop-Typ?

Gestern war ich mal wieder in der Migros, wo ich selten hingehe, obwohl ich oft einkaufe. An der Kasse stehe ich an. Hinter mir eine Frau, die man wohl als »rassig« bezeichnen würde (hat das was mir Rasse zu tun, so im Sinne von »reinrassig«?). Auf jeden Fall hat sie zwei Kinder, 5 und 7 ungefähr, Mädchen. Beide Jeansminijupe, weiße Hello-Kitty-Socken, rosa Hello-Kitty-Ballerinas, ein weißes Hello-Kitty-T-Shirt und eine Hello-Kitty-Mütze. Eine Art Uniform. Ich denke noch ganz milde, dass es auch Leute geben muss, die ihre Kinder so anziehen, als die Mädchen beginnen, sich ihre Langeweile mit Turnübungen aller Art zu vertreiben. Die Mutter ignoriert sie zunächst, sagt dann alle 20 Sekunden ohne sie anzuschauen »hör uf«. Weil das gar nichts bringt, geht sie zur nächsten Eskalationsstufe über: »Jetzt hör uf, susch hau der eis.« (Aus irgend einem Grund sprach sie immer im Singular zu ihren Kindern.) Die Mädchen lachen lauf auf (obwohl alles sehr ernst gesagt war) und rennen weg.
Das ist keine besonders gute Geschichte, aber wie der Alltag so ist: Sowas regt massiv zum Denken an. So über Erziehung. Und Kinder. Und Kitty, und warum man sie immer begrüssen muss. Oder die Migros? Warum passiert sowas nie im Coop?

Typ I: Kauft dort, wo's am billigsten ist. Informiert sich per Zeitungsbeilage, Newsletter und farbiger Aktionstafeln, geht auch mal zwei oder drei Mal in ein Geschäft, um sicher zu sein.
Typ Ia: Hat Geld, empfindet aber entweder Wonnegefühle beim Kaufen billiger Gegenstände oder fürchtet sich davor, mehr Geld auszugeben als nötig.
Typ Ib: Hat kein Geld, muss sparen.
Typ Ic: Hat zu viel Zeit und beschäftigt sich durch Schnäppchenjagen.
Typ II: Kauft immer am gleichen Ort ein. Auch die gleichen Produkte. Zur gleichen Zeit.
Typ III: Luxushure. Will den marinierten Lachs vom Coop, die thailändischen Mango von der Migros und das Cranberry-Müesli vom Globus. Was heißt will: Braucht das. Zum Leben.
Typ IV: Kauft dort ein, wo es Leute gibt, die noch mit einem reden. Der italienische Metzger, der vom letzten Urlaub in Calabrien erzählt und die Regalauffüllerin, welche sich über die Krankheiten ihrer Kinder ausbreitet, sind die wahren Kaufanreize. Dass alle wissen, was sie wann gekauft hat, ist diesem Typ egal.
Typ V: Bin ich. Kauft oft am gleichen Ort ein, aber dann auch wieder zwei Wochen nicht mehr, achtet manchmal auf die Preise, will aber auch ganz bestimmte Produkte, kennt zwar die Regalauffüllerin, tauscht mit ihr aber nur Bemerkungen übers Wetter aus.

Tendenziell gehören natürlich viele Menschen zu Typ I, und die kaufen dann tendenziell eher in der Migros als im Coop ein. Coop tut ab und zu etwas dagegen, dass die Typen II-V, die im Coop einkaufen, nicht den Eindruck haben, für alles zu viel zu bezahlen. Generell sind diese Typen aber angenehme Einkaufsgenossen, weil sie eher eine gewisse Gelassenheit an den Tag legen. Verzichte ich im Coop auf das Scannen meiner Supercard, passiert nichts. Tue ich das in der Migros, taucht in den Kunden vor, hinter und neben mir so was wie ein gieriges und unverständiges Flackern auf, besagend: »Die Cumulus-Punkte könnten mir gehören.«
Für alle die, welchen das ein zu seichter Eintrag war (ich selber bin nun kurz davor, ihn wieder zu löschen, aber ich sitze im Zug, es ist früh am Morgen und eventuell entschuldigt das etwas), hier noch der Grund, warum Migros und Coop die gleichen Produkte zu einem unterschiedlichen Preis verkaufen:
Angenommen, eine Person will einen Ballen Mozzarella kaufen. Dann kann man sie fragen, wie viel sie dafür zahlen würde. Diese Bereitschaft variiert, einige würden vielleicht nicht mehr als einen Franken dafür ausgeben, andere vielleicht bis zu drei Franken. Nun kann der Detailhändler diese Bereitschaft analysieren und den Mozzarella vielleicht für knapp unter zwei Franken verkaufen oder größere Packungen machen etc., so dass der Konsument den Eindruck hat, er würde einen seiner Zahlungsbereitschaft entsprechenden Preis bezahlen. Dennoch verliert man das Geld, welches die Menschen mit höherer Zahlungsbereitschaft zahlen würden sowie dasjenige, welches die mit tieferer Zahlungsbereitschaft zahlen würden, weil die dann evtl. keinen Mozzarella kaufen. Die Lösung ist einfach, aber nicht möglich: Man verkauft das gleiche Produkt zu drei verschiedenen Preisen: 1 Franken, 2 Franken und 3 Franken, und alle kriegen das, was sie wollten, und der Händler am meisten Geld. Nun kauft aber niemand ein Produkt zu 3 Franken, das man auch zu 1 Franken kaufen könnte. Lösung: Anmalen. 1 Franken: Billigprodukt, sagt meinen Gästen: Ich lebe innerlich noch in einer WG. 2 Franken: Produkt für die Familie von heute, was Gutes für die Kinder, aber Luxus muss nun auch nicht sein, und 3 Franken: Ich kaufe das beste. Natürlich steht dann da noch drauf, der Mozzarella sei mit sonnengereiftem und biologischem (Bio-Produkte funktionieren ganz ähnlich) Strauchbasilikum umhüllt gewesen, doch das sind Texte.

Freitag, 21. August 2009

Diplomatie, Notrecht und der Rechtsstaat

Das Sommerloch scheint vorbei zu sein: Spektakuläre Verhandlungserfolge und peinliche Entschuldigungen geben zu schreiben. Die mediale Euphorie über den UBS-Vergleich dämpft nur ein kleines Kästchen über aussenpolitische Kommission des Ständerats:

Die Kommission zeigt sich besorgt über die «Tendenz der Regierung, in wichtigen und heiklen Dossiers das Parlament zu übergehen». Was die Ständeräte erzürnt, ist aber möglicherweise der Schlüssel zum Verhandlungserfolg. Auf schweizerischer Seite gab es während Monaten keine nennenswerten Lecks und somit auch keine öffentlichen Diskussionen über die Verhandlungsstrategie, was möglicherweise den Vereinigten Staaten in die Hände gespielt hätte. Dass die Ständeräte im Dunkeln tappten, hängt im Übrigen weniger mit dem bösen Willen des Bundesrats als mit ihrer Organisation zusammen.
Die Bundesversammlung verfügt in den Bereichen Finanzen und Nachrichtendienste über zwei kleine Delegationen mit umfassendem Einsichtsrecht. Für die Diplomatie gibt es keine vergleichbare Kontrollinstanz. [Quelle: Nzz von heute, nicht online einsehbar]
Die Arbeit der Exekutive zeigt in diesem Fall zum wiederholten Male ein Spannungsverhältnis zwischen resultatorientierten, effizienten Entscheidungen - und rechtsstaatlichen Kontrollfunktionen. Weitere Beispiele:
  • die juristische Bearbeitung der Rechtshilfegesuche wird kaum so schnell möglich sein, wie das nötig sein wird, die Justiz ist »die große Unbekannte«, weil sie rechtsstaatliche Verfahren durchführen möchte und sich auf das Gesetz stützt
  • bei Rettungsaktionen (UBS, Swissair) wird Notrecht eingesetzt, ohne dass dieser Einsatz je auf seine Verfassungskonformität hin überprüft werden kann, indem - zumindest im Fall der UBS - Notsituationen künstlich geschaffen werden, um so das Parlament zu umgehen
Nun könnte man daraus ableiten, dass das direktdemokratische System der Schweiz reformiert werden müsste; zumal man zwar innenpolitisch das System großartig findet, in der Außenpolitik weder der amerikanischen Steuerbehörden noch einem »Wüstensohn« klar machen kann, dass Verhandlungsergebnisse der Überprüfung durch andere Gremien unterliegen.
Das wäre in einem eher harmlosen Fall wie derjenige der Vereinbarung mit Libyen unproblematisch, auch wenn man sich fragen kann, wie weit man sich von einem Diktator erpressen lassen will.
(In Klammern noch zwei Passagen aus dieser Vereinbarung:
Heißt das, es ist schon klar, dass die »measures unjustified and unnecessary« waren? Also gar nicht mehr Gegenstand der Untersuchung?
Libyer werden als von nun bei tätlichen Übergriffen in der Schweiz von der Polizei assistiert (»facilitate their procedures«). So weit die Klammerbemerkung…)
Problematisch wird die Stärkung der Exekutive auf Kosten der demokratischen Absicherung, wenn die Exekutive mit Leuten wie Hans-Rudolf Merz besetzt ist und die UBS geführt wird von ehemaligen Mitgliedern dieser Exekutive. Die ganze Biographie von Hans-Rudolf Merz ist gepflastert mit katastrophalen Entscheidungen im Bereich der Finanzindustrie. Als ehemaliger Angestellter ist er nun verantwortlich für massive Investitionen des Bundes (und ihre Auflösung zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt, Gewinn hin, Gewinn her) - und ein Künstler im Einsatz von Notrecht. Man muss nicht die WoZ lesen, um ein schlechtes Gefühl zu bekommen.

Donnerstag, 20. August 2009

Sturmgewehr - nur noch an Ungefährliche

Herr Maurer hat offenbar nachgedacht - und ist zum Schluß gekommen, »gefährlichen« Menschen keine Armeewaffe mehr auszuhändigen, oder nein, aushändigen schon, aber nicht mehr mit nach Hause geben. Nun könnte man daran beobachten, dass SVP-Politiker, sobald sie sich mit einer Materie wirklich auseinandersetzen, schnell zu den gleichen Schlüssen kommen wie ihre politischen Gegner (so z.B. auch Marcel Riesen beim Thema Jugendstrafrecht, obwohl da die Vernunft allen politischen Parteien etwas abhanden gekommen ist; oder auch die vorgeschlagene Verkleinerung der Armee, welche letztlich wohl auf eine Abschaffung der Wehrpflicht rausläuft).
Symptomatisch scheinen mir aber andere Aspekte zu sein:

  • Der Begründung der poltischen Rechten, warum die Gewehre mit nach Hause gegeben werden müssen, ist folgende:
    Die Schweiz ist eine freie Republik. Ausdruck unserer Freiheit ist die Tradition der Milizarmee. Der bewaffnete Bürgersoldat war schon in Griechenland Ausdruck des grossen Vertrauens, das der Staat seinen Bürgern entgegenbringt. [Quelle: Roger Köppel, Weltwoche]
  • Dieses Vertrauen des Staates in seine Bürger gilt offenbar nur eingeschränkt: Gefährlichen Bürgern vertraut der Staat nicht, sondern nur ungefährlichen. Ungefährlich heißt aber in dieser Denkart »noch nicht gefährlich«, denn die Gefährlichkeit eines Menschen zeigt sich ja dadurch, dass er eine Straftat begangen hat (oder eine Rechnung nicht bezahlt hat - denn Maurer möchte auch die Betreibungsregisterauszüge konsultieren, um auf die Gefährlichkeit einer Person schließen zu können).
  • Die ganze Massnahme ist ein weiterer Schritt im Wahn, unsere Gesellschaft müsste gefahrenfrei werden, indem gefährliche Elemente (und mit Elementen meint man Menschen) weggesperrt, entrechtet, identifiziert und markiert werden (evtl. in anderer Reihenfolge).
  • Und letztlich zeigt sie, dass das wahre Problem noch nicht verstanden worden ist: Wir brauchen keine Waffen. Niemand braucht eine Waffe. Weder zuhause, noch sonstwo. Wer zu seinem Vergnügen schießen will, kann das ja an einem Vergnüngsstand tun.
  • Gut, da habe ich wohl eine wichtige Funktion übersehen:

Dienstag, 18. August 2009

Basta - von Geistigem, Eigentum und einem Appell

Dass Frank A. Meyer (Scherze über Menschen, die Ihren zweiten Vornamen mit einer Initiale abkürzen, kann man sich selber basteln) wenig von der Schweizer Rechtsordnung versteht und in Berlin lebt, weil die Behörden es ablehnen, ihn für den Lärm der Streetparade zu entschädigen, dürfte bekannt sein. Dass sein Text über Urheberrecht (die Kolumne Basta!) die Blog-Community erschüttert hat, könnte man auch wissen. Da gibt es Satz für Satz-Analysen und Superlative (»dümmster Artikel«). All das muss man nicht bemühen: Zunächst ist klar, dass Frank A. so viel Ahnung von Internet hat, wie der durchschnittliche Stimmbürger. Sie wissen, dass es das gibt, sie waren schon einmal drin und ahnen, dass es eine grosse Anzahl kaum zu definierender Gefahren gibt, die davon ausgehen. Herr Meyer setzt prägnant zu seinem zentralen Argument an, das auf Demokratie und Rechtsstaat beruht:

Das ­Eigentum ist geschützt, ob nun Scheiben eingeschlagen, Strassen blockiert, Häuser besetzt – oder eben Songs, ­Romane und Filme downgeladen werden.
(downgeladen ist ganz hübsch, das muss man sich merken)
Auf einer ungleich intellektuelleren Schiene argumentieren die Unterzeichnenden des Heidelberger Appells, über den man sich hier einen Überblick verschaffen kann. Ihr Problem sind einerseits die open-access-Politik vieler Universitäten (wissenschaftliche Texte müssen im Internet verfügbar gemacht werden), andererseits GoogleBooks, also die Bemühung um Digitalisierung von Büchern. Diese Diskussion soll nicht im Detail kommentiert werden, zumal ich es nicht besser kann als Matthias Spiegelkamp.
Aber einige Punkte, die mir ganz grundlegend scheinen, sollen zu dieser Debatte festgehalten werden:
  • Eigentum ist ein juristischer Fachbegriff, der zwar von Besitz unterschieden wird, aber eine Abstraktion des Begriffs Besitz darstellt. Ich kann Eigentümer von etwas sein, was ich auch besitzen könnte, und be-sitzen bedeutet, ich kann es festhalten, es exklusiv benutzen. Geistiger Besitz scheint kein vorstellbares Konzept zu sein: Ich kann keine Idee festhalten. Wenn ich sie nämlich nicht formuliere, dann gibt es sie noch nicht - und sobald ich sie formuliert habe, kann sie weitergegeben werden, ohne dass mir diese Idee abhanden kommt. Ideen und materielle Güter unterscheiden sich also in ihren wesentlichen Eigenschaften, so dass »geistiges Eigentum« nicht in Parallele zu materiellem Eigentum zu setzen ist, sondern ein juristisches Konstrukt darstellt.
  • Geistiges Eigentum ist dann eigentlich das Recht an der kommerziellen Nutzung eigener Ideen oder Kreationen. Wenn jemand eine Idee kopiert, dann heißt das nicht, dass die Person sie auch kommerziell nutzt, also das geistige Eigentum gefährdet.
  • Das auch im kleinen ein juristisches Problem (oder eine Fehlannahme): Leute, die ein Musikstücke (oder einen Film oder sowas) kopieren, würden dafür nicht den Preis zahlen, der verlangt wird - sie würden nicht notwendigerweise gegen Bezahlung konsumieren, was sie kopieren.
  • Eine weitere verfehlte Annahme ist die, dass das Kopieren etwas Ähnliches ist wie ein Plagiat: Wenn ich ein Lied runterlade, behaupte ich nicht, ich hätte es komponiert, gesungen oder sonstwas. Sondern ich höre es mir an. (Runterladen geht btw. so…)
  • Den Zugang zu Informationen einzuschränken, sie einem eingeschränkten Nutzerkreis vorzubehalten, ist fortschrittsfeindlich und undemokratisch. Forschung, die an einer Universität stattfindet, sollte für alle einsehbar sein - an open access gibt es nichts zu kritisieren, das sollte schon längst eine Selbstverständlichkeit sein.
  • Ein Mythos der Unterhaltungsindustrie ist, dass Urheberrechte die Künstler schützen. Vielmehr schützen sie die Industrie, denn Künstler verdienen an ihrer Kunst einen Bruchteil von den Kosten, die für eine CD oder ein Buch anfallen. Man zahlt für ein Buch und eine CD, weil Marketingkosten anfallen, Material- und Vertriebskosten. Alle diese Kosten übernehme ich als Internetuser aber selbst - ich stelle das Material, die Leitung etc. zur Verfügung; müsste also nur den Künstler selbst entschädigen.
  • Die alte Leier vom Schutz von Forschung und Investitionen, wie sie bei Patentdiskussionen immer vorgebracht wird, gilt für Künstler kaum. Natürlich müssen Künstler leben können - aber anstatt dem Staat die Aufgabe zuzuweisen, die Mainstream-Künstler durch unhaltbare Gesetze zu schützen, könnte er auch die demokratische Aufgabe wahrnehmen, Künstlern ein Auskommen zu ermöglichen, so dass Sie unabhängig von kommerziellen Erwägungen arbeiten können.
  • Zum Schluss noch dies: Kopien dürfen in der Schweiz angefertigt werden, auch wenn man sie runterlädt. Ist nicht verboten, verletzt nicht den Rechtsstaat.
Und dann noch zurück zu Frank A. Meyer: Als Vordenker von Ringier könnte er vielleicht dafür sorgen, dass Bilder und Geschichten nicht kopiert werden, ohne dass man Urheberrechte daran hat. Je länger desto mehr muss man keine Photographen mehr anstellen, sondern kann einfach Facebook bemühen…

Sonntag, 16. August 2009

Hausgemachter Enkeltrick

Wenn man sich über Kleinigkeiten freuen soll, dann darf man sich wohl erst recht über Kleinigkeiten aufregen.

1. Der Enkeltrick
Wie die Illustration es besser nicht zeigen könnte, besteht der so genannte Enkeltrick darin, dass »betagten oder immigrierten Personen« (Quelle: fedpol) bei einem Anruf vorgegaukelt wird, eine ihnen verwandte Person (z.B. ihr Enkel) sei auf eine größere Zuwendung von ihnen angewiesen. Da man diesen betuchten Personen von Täterseite zwar nicht zutraut, den Enkel am Telefon zu erkennen, wohl aber an der Haustür, informiert man sie in einem zweiten Telefonat darüber, dass man selbst verhindert sei, ein Freund/Beamter/x das Geld aber abholen komme. Trotz Warnung von Bankangestellten heben die betagten Menschen aber größere Summen Geldes ab und überreichen sie ihnen völlig unbekannten Menschen.
Warum regt mich das auf? Weil in den Medien so getan wird, als handle es sich um eine besonders dreiste Form der Betrügerei. Wenn man das Ganze aber durchdenkt, erhält man aber einen Tatbestand, der in meinem Rechtsempfinden aber kaum kriminell ist:

  1. Jemand, der oder die offenbar nicht bevormundet oder in finanzieller Hinsicht verbeiständet ist, gibt jemand anderem (teilweise trotz einer Warnung) Geld - ohne Zwang.
  2. Der einzige Betrug ist der, dass die Person, die anruft, eben nicht der Enkel ist. Wäre es der Enkel, wäre alles völlig legal. Ändert die Tatsache, dass es eben nicht der Enkel ist (den die betuchte Person nicht einmal am Telefon erkennt), etwas an ihrer Situation?
2. hausgemacht
In diesem Sommer habe ich das Vergnügen genossen, mit AirBerlin nach Berlin zu fliegen. Wider Erwarten gab es essbares Gratisessen. Hätte ich dennoch was noch Schmackhafteres und Kalorienreicheres bestellen wollen, hätte es eine »hausgemachte Currywurst« gegeben. Die nahe liegende Frage: Von welchem Haus sprechen wir? Fliegen wir in einem Haus? Oder gibt es DAS »Air-Berlin-Haus«, in dem auch Currywürste gemacht werden? Ist die Wurst hausgemacht - oder ist damit die Zubereitung einer nicht hausgemachten Wurst gemeint? Fragen über Fragen… Hausgemacht ist aber in unsere Konsumwelt fast alles, weil das impliziert, es gebe jemanden Ansprechbares, der in der Lage ist, hochartifizielle Produkte selbst herzustellen. Gemeint ist aber: Dieses Produkt wurde in einem Gebäude gemacht, das ein Dach aufweist.

Freitag, 14. August 2009

Vor der Bundesratswahl - Rechenspiele, FDP-Absurditäten, »wertkonservativ«

Zur kommenden Bundesratswahl drei Gedanken

I Rechnungen
»Ich habe keine Angst«, sagt Urs Schwaller, und meint damit wohl: Weil Frau Leuthardt jung ist und wohl durch eine Frau ersetzt werden müsste, ist die kommende Wahl ohnehin seine einzige Chance, je Bundesrat werden zu können. Und man kann die Blöcke kurz aufstellen, um zu sehen, wie denn seine Chancen stehen:

FDP, SVP, EDU: 47 + 65 + 6 + 1 = 113
SP, CVP/EVP/GLP, Grüne, (BDP): 51 + 52 + 24 (+6) = 127/133
Nicht schlecht stehen sie also, die Chancen von Herrn Schwaller.
Nun kann man das Spiel mit der Rechnung auch anders spielen - und sieht, dass die SVP sich politisch als derart unzuverlässig erwiesen hat, dass sie über längere Zeit bei der Bundesratswahl nicht mitreden kann. Angenommen, die geeignigte Linke will eine eigene Kandidatin wählen, z.B. Sylvie Perrinjaquet, Liberale, Neuenburg. Sie ist nicht besonders links (smartspider), aber eine Romande, eine Frau und auch nicht besonders rechts einzustufen - und wäre geeignet dafür, keinem/r der offiziellen Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl zu verhelfen.
Wie würde man das machen?
1. Wahlgang
Schwaller: CVP: > 46
e.g. Burkhalter: FDP, SVP, …: <> 70
So siehts nur aus, wenn sich die SVP loyal zur FDP verhält und nicht noch ihrerseits Spielchen spielt, die eigentlich irrelevant sind. Die Linke verkündet dann, sie würde an Perrinjaquet festhalten, wenn sie von der FDP unterstützt würde, ansonsten würde man Schwaller wählen.
Dann ergibt das wahrscheinlich:
3. Wahlgang
Schwaller: CVP: ca. 50
e.g. Burkhalter, SVP-Kandidat: ca. 70
Perrinjaquet: Linke und FDP: ca. 120
Es könnte also wiederum eine Bundesrätin oder ein Bundesrat von der Linken gewählt werden, wenn sie die richtigen Karten spielt, das will und - das ist ganz wichtig - die Romands dazu bewegt, Schwaller nicht zu wählen, weil er Deutsch als Muttersprache hat. Ob das sinnvoll ist, so Bundesräte zu wählen, bleibt dahingestellt - ein Szenario ist es allemal. Und es zeigt, wie irrelevant die SVP für die Schweizer Politik trotz ihrer Größe ist, weil sie es nicht vermag, sich konstruktiv in den politischen Prozess einzubringen.

II Die FDP-Kandidaten
In der heutigen NZZ stellen sich die nominierten Bundesratskandidaten der FDP vor. Man kann sich kaum deutlicher vor Augen führen, wie absurd die Argumentation einer sich selbst liberal nennenden Partei geworden ist:
  • alle Kandidaten sind dafür, die bisherige Politik weiterzuführen - sie haben keine Konzepte, Visionen, Vorstellungen für die Schweiz (was für viele PolitikerInnen gilt), auch keine liberalen
  • nur Martine Brunschwig Graf spricht sich für einen EU-Beitritt aus - die drei Herren beschwören den bilateralen Weg; der EU-Beitritt, seit dem Beitrittsgesuch, das beim Weissweintrinken der Herren Delamuraz und Felber entstanden ist (danke für diese Pointierung), ist eines der seltsamsten Tabus der Schweizer Politik
  • keiner der liberalen Politiker ist für Parallelimporte von Medikamenten; die argumentativen Verrenkungn sind schon fast lachhaft (»eine Form von Wettbewerb«, »philosophische Grundfrage«) - und dankbar ist wieder einmal die Formel vom »geistigen Eigentum«, welches offenbar dazu berechtigt, ein Produkt in einem Land zu diesem Preis anzubieten und in einem anderen Land zu einem anderne Preis, ohne dass ein Konsument wählen kann, wo er welches Produkt kaufen möchte
III Anbiederung bei der SVP
Wie I schon gezeigt hat: Die SVP braucht man nicht, um Bundesrat zu werden. Allerdings scheint sich Schwaller auch für die SVP als wählbar präsentieren zu wollen und fand dazu ein tolles Wort: Er sei »wertkonservativ«. Was immer das heißen mag - er hat konservative Werte, er ist dafür, Werte (welche) zu bewahren, er sei in Bezu auf Werte konservativ - die SVP ist in keiner dieser Hinsichten »wertkonservativ«, weil sie Werte gar nicht braucht, sondern Scheinlösungen für fiktive Probleme diskutiert, welche immer so beschaffen sind, dass sie der SVP-Elite nützen und sozial schlecht gestellten Menschen schaden. Dabei von Werten zu reden, ist schlicht zynisch.

Mittwoch, 12. August 2009

Besitzen - Die Liegestuhlgeschichte

In der aktuellen Ausgabe der Monde diplomatique (gehört zu den besten Publikationen, die man im Wochenrhythmus lesen kann) wird die Geschichte von den Liegestühlen aufgerollt. Ich versuche, sie ungefähr nachzuerzählen:

Auf einem Kreuzfahrtschiff gibt es Liegestühle, welche alle Passagiere benutzen dürfen. Gleichzeitig kann aber nur ein Drittel der Passagiere drauf Platz nehmen. Anfänglich lösen sich fast alle Passagiere auf den Liegestühlen ab: Wird einer frei, benutzt ihn ein anderer.
Nachdem aber die ersten Passagiere die Erfahrung gemacht haben, dass alle Liegestühle besetzt waren, als sie sich auf einen legen wollten, kommen sie auf eine Idee: Sie könnten mit einem Badetuch den Liegestuhl reservieren. Gemeinsam passen sie jeweils darauf auf, dass niemand einen reservierten Liegestuhl einnimmt, und so ergibt sich folgende Situation: Ein Drittel der Passagiere kann während der Kreuzfahrt einen Liegestuhl benutzen, zwei Drittel können das nicht.
Die Geschichte ist leicht zu deuten: Es geht um commons, manchmal mit Allmenden übersetzt, besser aber mit Gemeingüter. Die Frage ist, wie es kommen konnte, dass diese Gemeingüter als legitimer Besitz angeschaut werden, und der Autor in der MD argumentiert einleichtend dahingehend, dass der Anfangsvorsprung, den man sich durch den überraschenden Besitzanspruch gesichert hat, ausreich, um diesen Anspruch zu verteidigen. Man könnte, so ein Beispiel, den Liegestuhl während der Zeit, in der man ihn nicht benutzt, vermieten, und mit den Einnahmen einen Wärter zahlen, der auf den Liegestuhl aufpasst etc. - während die liegestuhllosen Passagiere keine Möglichkeit haben, Einnahmen zu generieren um allenfalls eine Organisation zur Übernahme der Liegestühle aufzubauen; also: Wenn commons einmal von jemandem besessen werden, wird es schwierig, diesen unrechtmässigen Besitz zu beenden, da es einfacher ist, einen Besitz zu verteidigen als in den Besitz von etwas zu gelangen.
Nun gibt es in Bezug auf commons ein zweites Problem: 1968 hat Garrett Hardin in diesem Artikel argumentiert, es gäbe eine Tragedy of the Commons, die sich daraus ergebe, dass Allgemeingüter (z.B. Allmenden) übernutzt werden (z.B. alle lassen ihre Tiere zuerst so oft wie möglich dort grasen), so dass sie letztlich zugrunde gehen und niemand mehr etwas davon hat. Es sei besser, sie jemandem zu übergeben, so dass dann diese Person auch ein Interesse daran hat, die Allmend (die dann keine mehr ist) zu pflegen. In einem anderen Artikel in der MD wird das dahinterliegende Missverständnis aufgeklärt: commons darf man sich nicht wie ein Schlaraffenland vorstellen, das von jemandem erstellt worden ist und kostenlos benutzt und übernutzt werden kann, sondern wie ein Picknick, zu dem alle etwas beisteuern und auch alle etwas nehmen dürfen. Idealerweise, so der Autor, müsste man Gemeingüter mit einem Preis versehen, also beispielweise der Verbrauch von Ressourcen, wobei das Geld wieder dafür eingesetzt wird, dass diese Ressourcen nachhaltig genutzt werden.
Auf unsere Liegestühle übertragen würde dies heißen, der Schiffbesitzer sollte die Liegestühle kostenpflichtig machen und sagen, wie viel eine Stunde Liegestuhlbenutzung kostet, oder noch besser: Allen Passagieren Tokens verteilen, welche zu einer Stunde Liegestuhlbenutzung berechtigen.
Nun sind natürlich die Besitzverhältnisse heute schon gegeben. Fast alles, was Menschen besitzen können, besitzt jemand, und die Frage, er ihm Besitz wegnehmen darf/soll/kann ist nicht ganz einfach zu beurteilen. Diese ganze Argumentation hat, anders, als man meinen könnte, nicht mit Neid zu tun: Sondern mit der Frage, ob man z.B. Grundstücke, Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen (Erdöl etc.) überhaupt besitzen kann oder in einem gewissen Ausmass besitzen kann (Ausmass: mehr als man jemals im Leben verbrauchen kann). Die Antwort ist natürlich nein, denn selbst wenn ich Geld »verdient« habe, kaufe ich das Grundstück von jemandem, der es von jemandem gekauft hat … der es von jemandem gekauft hat, der es einfach in seinen Besitz gebracht hat, weil es vorher niemandem gehört hat.
Diese Frage ist eine alte, aber sie ist nicht damit gelöst, zu sagen, der Kommunismus habe versagt und offenbar wollten die Leute Grundstücke besitzen. Gelöst wäre sie damit, wenn man alle Leute enteignen würde, ihnen die Grundstücke, die sie besessen haben, 10 Jahre gratis zur Pacht überlässt und nach 10 Jahren anfängt, einen Pachtpreis zu verlangen, wobei die Pachtverträge so langfristig abgeschlossen werden, dass eine Nutzung des Grundstücks und eine Investition ins Grundstück möglich und sinnvoll ist. Was man mit dem Geld anfangen könnte, dürfte sich alle selbst überlegen.

Montag, 10. August 2009

Der typische Schweizer - Rene Kuhn

Das ist er - der typische Schweizer. Flo bzw. die Gemeinde Spreitenbach hat ihn gesucht: Will man in Spreitenbach eingebürgert werden (die Formulierung scheint schon paradox zu sein: man wird dann ja nicht in erster Linie Spreitenbacher, sondern Schweizer, aber so ist das halt mal), dann muss man folgende Frage beantworten können:

Was isst / hat der typische Schweizer?
Zunächst sollte man mal einen typischen Schweizer finden, und voilà, die brisanten News eines Sommerlochtages bringen ihn zum Vorschein, es ist Rene Kuhn. Von seinem leuchtenden Beispiel kann man einige Antworten auf die oben stehende Frage ableiten, denn als typischer Schweizer
  • hat man natürlich eine Frau, am besten eine rassige Russin, die auch noch so schön malen kann
  • hat man eine Homepage, auf der man deutlich macht, was man denkt, wofür man einsteht und wer man ist.
  • hat man Freude, wenn man aus den Ferien zurückkommt, insbesondere, wenn diese »in einem vom Kommunismus runter gewirtschafteten und gezeichneten Land« stattgefunden haben (man könnte denken, es handle sich um das Herkunftsland der rassigen Russin, und nicht auf das Land, das auf dem Bild zu sehen ist)
  • hat man nicht mehr so Freude, wenn man die linken Frauen in der Schweiz sieht, denn im Ferienland sind sich Frauen »nicht zu schade, sollten die Haare grau werden, diese zu färben, damit sie auch im Alter attraktiv wirken und nicht mit ihren grauen Haaren um 10 Jähre älter wirken«, und kommt dann zum Schluss: »Die linken Schweizer Frauen könnten noch einiges Lernen, aber diese Emanzen laufen lieber wie Vogelscheuchen umher.« [Quelle: zisch]
  • hat man noch weniger Freude, wenn andere die eigenen Gedanken auch lesen, denn dann muss man sich rechtfertigen, und das klingt dann so: »Warum sich die SP nun so über meine Äusserungen aufregt ist mir schleierhaft, denn ich meinte nicht einmal die Frauen aus dem Parlament, sondern was einem tagtäglich auf der Strasse begegnet. Aber da fühlen sich wohl einige angesprochen, obwohl ich nur eine kleine Minderheit damit meinte.«
  • hat man ganz allgemein ein solides Verständnis vom Rechtsstaat (auch Rene Kuhn darf auf seiner Homepage seine Meinung vertreten, auch wenn es sich nicht um die Meinung der SVP handelt, damit wäre auch der Punkt »Freiheitsrechte« aus dem Einbürgerungstest Spreitenbachs abgehandelt) und von politischen Mechanismen: Wenn Herr Kuhn nämlich nicht gewählt wird, liegt es daran, dass die Wahlbeteiligung bei 30% lag, denn: »Eine schlechte Wahlbeteiligung wirkt sich immer enorm auf die Ergebnisse der SVP aus.«
  • Leider erfährt man nicht, wovon sich der gute Mann neben Zigarren und gutem Wein ernährt, aber man kann annehmen, wie allen rechten Schweizer mag er auch mal einen Kebab und ein gutes Stück brasilianisches Rinderfilet, dem er dann als Schweizer Rindsfilet sagt.
Man kann froh sein, ist der typische Schweizer keine Frau, denn dann gehörte er zu dem, »was einem tagtäglich auf der Strasse begegnet«. In den 80er-Jahren hätten Leute vom Schlag Rene Kuhns sich selber geraten, doch nach Moskau zu gehen, wenn ihm dort die Frauen besser gefallen. Heute rät man ihm, sich doch die Homepage von einem Profi betreiben zu lassen, wenn er in der Politik wirklich Fuss fassen möchte.

P.S.: (klick to enlarge)

Donnerstag, 6. August 2009

Gewalt als Mittel

Schlagzeilen populärer Medien suggerieren, dass die Anschläge auf Herrn Vasella breite Bevölkerungsschichten interessieren bzw. interessieren könnten. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass in westlichen Demokratien erfolgreiche Menschen (unabhängig davon, ob ihr Erfolg moralisch legitimiert oder verdient ist) so etwas wie identifikatorischen Neid genießen: Man beneidet sie, weil man sich (oder eine Variante seiner selbst) mit ihnen identifiziert. Klingt trivialpsychologisch, ist es auch; erklärt aber, warum man Bonuszahlungen zwar eine Frechheit findet, sie aber auch gerne erhalten würde.
Zurück zu Vasella. Nun sind diese Tierschützer also auch Terroristen, zumindest die ausländischen. Jedem ist sofort klar, dass Grabschändung und Abbrennen von Jagdhäusern; ja Gewalt im allgemeinen weder taugliche noch ethisch vertretbare Mittel sind, ein Anliegen durchzusetzen. Und Bomben über Städten abwerfen, damit die Zivilbevölkerung in einem Feuersturm ums Leben kommt, auch nicht. (Goodwin's Law ist wieder mal erfüllt.)
Was hat Novartis mit den Nazis gemeinsam? Zwei Punkte:

  1. Rechtsstaatlichkeit und Gesetze hemmen sie in ihren Bemühungen nicht. Gibt es Gesetze, werden sie umgangen, ignoriert, geändert etc.
  2. Niemand ist verantwortlich, weil alle (die Konsumenten, das »Volk«) ja wollen, was sie tun. Der CEO tut, was der Verwaltungsrat will, und der macht, was die Aktionäre wollen, und die Aktionäre machen, was den Aktienkurs steigen lässt, und was den Aktienkurs steigen lässt, sind gute Medikamente, und die wollen ja alle, die mal krank werden könnten, also sind die Verantwortlichen nur Ausführende dessen, was man als Allgemeinwohl bezeichnen kann.
Nun ist im Falle der Nazi gewaltsamer Widerstand als das einzige Mittel erkannt worden - aber auch nur, weil die Nazis »angefangen haben«. Irgendwie war schon Krieg, und da war das Kriegführen nicht so schwer zu legitimieren, zumal alle Angst haben konnten, selber zum Opfer zu werden.
Der Fall Novartis ist da etwas anders gelagert, aber nicht im Falle Tierschutz. Nehmen wir mal an, eine demokratische Mehrheit wollte keine Tierversuche oder nur sehr eingeschränkte. Diese demokratische Mehrheit ist die demokratische Mehrheit eines Landes, also können die Tierversuche in einem anderen Land durchgeführt werden. Dieser Mechanismus betrifft nicht nur Tierversuche, sondern Arbeits-, Steuer- und grundsätzlich alles Recht. Demokratische Mittel können also eine globale Firma nicht treffen, es sei denn, sie sei auf eine gewisse Infrastruktur (Banken) angewiesen. Welche anderen Mittel stehen dann zur Verfügung, um eine Veränderung zu bewirken?
Vielleicht gibt es bessere Möglichkeiten, die gerne in den Kommentaren hinterlassen werden können: Aber ein Jagdhaus abzubrennen, finde ich persönlich nicht so schlecht. Es ist niemand gestorben, die Verbindung zwischen Novartis und Tierversuchen hat Aufmerksamkeit in den Medien erhalten und vielleicht ist es Herrn Vasella nicht mehr so wohl.
Zudem ist alles - um mit Watzlawick zu sprechen - eine Frage der Interpunktion: Sind die Taten der Tierschützer (was für ein Label) eine Reaktion auf das Vorgehen von Novartis - oder sind sie der initiale Akt, auf den dann (z.B. die Polizei) reagieren muss?