Mittwoch, 12. August 2009

Besitzen - Die Liegestuhlgeschichte

In der aktuellen Ausgabe der Monde diplomatique (gehört zu den besten Publikationen, die man im Wochenrhythmus lesen kann) wird die Geschichte von den Liegestühlen aufgerollt. Ich versuche, sie ungefähr nachzuerzählen:

Auf einem Kreuzfahrtschiff gibt es Liegestühle, welche alle Passagiere benutzen dürfen. Gleichzeitig kann aber nur ein Drittel der Passagiere drauf Platz nehmen. Anfänglich lösen sich fast alle Passagiere auf den Liegestühlen ab: Wird einer frei, benutzt ihn ein anderer.
Nachdem aber die ersten Passagiere die Erfahrung gemacht haben, dass alle Liegestühle besetzt waren, als sie sich auf einen legen wollten, kommen sie auf eine Idee: Sie könnten mit einem Badetuch den Liegestuhl reservieren. Gemeinsam passen sie jeweils darauf auf, dass niemand einen reservierten Liegestuhl einnimmt, und so ergibt sich folgende Situation: Ein Drittel der Passagiere kann während der Kreuzfahrt einen Liegestuhl benutzen, zwei Drittel können das nicht.
Die Geschichte ist leicht zu deuten: Es geht um commons, manchmal mit Allmenden übersetzt, besser aber mit Gemeingüter. Die Frage ist, wie es kommen konnte, dass diese Gemeingüter als legitimer Besitz angeschaut werden, und der Autor in der MD argumentiert einleichtend dahingehend, dass der Anfangsvorsprung, den man sich durch den überraschenden Besitzanspruch gesichert hat, ausreich, um diesen Anspruch zu verteidigen. Man könnte, so ein Beispiel, den Liegestuhl während der Zeit, in der man ihn nicht benutzt, vermieten, und mit den Einnahmen einen Wärter zahlen, der auf den Liegestuhl aufpasst etc. - während die liegestuhllosen Passagiere keine Möglichkeit haben, Einnahmen zu generieren um allenfalls eine Organisation zur Übernahme der Liegestühle aufzubauen; also: Wenn commons einmal von jemandem besessen werden, wird es schwierig, diesen unrechtmässigen Besitz zu beenden, da es einfacher ist, einen Besitz zu verteidigen als in den Besitz von etwas zu gelangen.
Nun gibt es in Bezug auf commons ein zweites Problem: 1968 hat Garrett Hardin in diesem Artikel argumentiert, es gäbe eine Tragedy of the Commons, die sich daraus ergebe, dass Allgemeingüter (z.B. Allmenden) übernutzt werden (z.B. alle lassen ihre Tiere zuerst so oft wie möglich dort grasen), so dass sie letztlich zugrunde gehen und niemand mehr etwas davon hat. Es sei besser, sie jemandem zu übergeben, so dass dann diese Person auch ein Interesse daran hat, die Allmend (die dann keine mehr ist) zu pflegen. In einem anderen Artikel in der MD wird das dahinterliegende Missverständnis aufgeklärt: commons darf man sich nicht wie ein Schlaraffenland vorstellen, das von jemandem erstellt worden ist und kostenlos benutzt und übernutzt werden kann, sondern wie ein Picknick, zu dem alle etwas beisteuern und auch alle etwas nehmen dürfen. Idealerweise, so der Autor, müsste man Gemeingüter mit einem Preis versehen, also beispielweise der Verbrauch von Ressourcen, wobei das Geld wieder dafür eingesetzt wird, dass diese Ressourcen nachhaltig genutzt werden.
Auf unsere Liegestühle übertragen würde dies heißen, der Schiffbesitzer sollte die Liegestühle kostenpflichtig machen und sagen, wie viel eine Stunde Liegestuhlbenutzung kostet, oder noch besser: Allen Passagieren Tokens verteilen, welche zu einer Stunde Liegestuhlbenutzung berechtigen.
Nun sind natürlich die Besitzverhältnisse heute schon gegeben. Fast alles, was Menschen besitzen können, besitzt jemand, und die Frage, er ihm Besitz wegnehmen darf/soll/kann ist nicht ganz einfach zu beurteilen. Diese ganze Argumentation hat, anders, als man meinen könnte, nicht mit Neid zu tun: Sondern mit der Frage, ob man z.B. Grundstücke, Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen (Erdöl etc.) überhaupt besitzen kann oder in einem gewissen Ausmass besitzen kann (Ausmass: mehr als man jemals im Leben verbrauchen kann). Die Antwort ist natürlich nein, denn selbst wenn ich Geld »verdient« habe, kaufe ich das Grundstück von jemandem, der es von jemandem gekauft hat … der es von jemandem gekauft hat, der es einfach in seinen Besitz gebracht hat, weil es vorher niemandem gehört hat.
Diese Frage ist eine alte, aber sie ist nicht damit gelöst, zu sagen, der Kommunismus habe versagt und offenbar wollten die Leute Grundstücke besitzen. Gelöst wäre sie damit, wenn man alle Leute enteignen würde, ihnen die Grundstücke, die sie besessen haben, 10 Jahre gratis zur Pacht überlässt und nach 10 Jahren anfängt, einen Pachtpreis zu verlangen, wobei die Pachtverträge so langfristig abgeschlossen werden, dass eine Nutzung des Grundstücks und eine Investition ins Grundstück möglich und sinnvoll ist. Was man mit dem Geld anfangen könnte, dürfte sich alle selbst überlegen.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr interessant! Ich wäre dafür, dass man von den Besitzenden verlangt, der Gemeinschaft eine Art Mietzinsen zu zahlen. Das könnte man zB Steuern nennen. Und das könnte man denen geben, die nichts besitzen. Die können dann nämlich fremden Besitz mieten.

Wäre schön, wenn es so wäre! Tatsächlich zahlt man Steuern auf alles, auch auf Arbeitseinkommen, obwohl man gerade hier niemandem irgendetwas wegnimmt. Und man zahlt überproportional viel Steuern, wenn man mehr besitzt. Warum eigentlich? Das kann man jedenfalls nicht durch die Liegestuhlgeschichte erklären.

Wenn man, wie heute fast überall, Steuern fern von jeder inneren Rechtfertigung einfach von denen holt, die was haben, dann untergräbt man die Steuermoral, weil man nicht mit Recht, sondern nur mit Macht argumentiert.

Zara Haundem hat gesagt…

Das Thema des Besitzens von Allgemeingütern ist mir gerade heute morgen durch den Kopf gegeistert, als ich bei meinem Milchkaffee wie üblich die Kehrseite des Tagis las um aufzuwachen. (Der Artikel über die Onassis-Insel.)

Philippe Wampfler hat gesagt…

Es geht nicht um Steuern - sondern darum, dass man Gemeingüter nicht besitzen können sollte. Zudem dienen Steuern auf Eigentum nicht der Umverteilung, es wird kein neues Eigentum geschaffen geschweige denn eine Änderung der Besitzverhältnisse geschaffen.
Die innere Rechtfertigung von Steuern ist ganz einfach - es sind demokratische Prinzipien, die dir ja so wichtig sind, lieber Anonym, durch welche diese Steuerprinzipien entstanden sind und sich auch wieder verändern lassen.
Dass man Einkommen besteuert, kann man auf zwei Arten recht gut begründen:
1. Durch die Theorie von Rawls: http://www.ethikseite.de/rawls-overview.html
2. Durch eine Widerlegung deines Arguments, es werden »niemandem irgendetwas« weggenommen. Das Geld, das jemand verdient, kommt von irgendwo. Z.B. verdiene ich Geld, das Steuerzahler für meine Arbeit bezahlt haben. Also nehme ich doch - genau genommen - diesen ihr Geld weg (das ist eine Argumentation, die dir sicher liegt). Genau so nimmt aber Herr Vasella - um bei ihm zu bleiben - mir und meiner Krankenkasse das Geld weg, welches wir für meine Medikamente ausgeben, bzw. genauer denjenigen Teil davon, der über dem Preis liegt, der die Kosten des Medikaments ausmacht. Ich habe ja nicht die Möglichkeit zu sagen, das Medikament ist mir nicht ganz so viel wert, ich zahle nur so viel, wie es in Deutschland kosten würde, sondern ich bezahle, was es kostet. Das als »verdienen« zu bezeichnen, ist schon in Ordnung - aber es ist eine Umverteilung, die nicht ganz unproblematisch ist. Denn sie basiert auf gewissen Voraussetzungen, z.B. auf dem geistigen Eigentum an Forschungsergebnissen, an den Möglichkeiten, über eine Infrastruktur bestimmen zu können etc. die nicht allen zur Verfügung stehen.

Anonym hat gesagt…

Es geht doch letztlich um private und "öffentliche" Monopole.
Wir haben gerade gelernt, dass erst die staatlichen Monopole aufgeknackt und dann privatisiert wurden, damit wenige Leute mehr Geld anhäufen können...

Ich würde auch vorschlagen, eheliche Beziehungen nach einer gewissen Zeit einer automatischen Scheidung anheimfallen zu lassen! ;)

Anonym hat gesagt…

Die Aussage, Vasella nehme etwas weg, stimmt nicht. Kein Mensch ist gezwungen, ein Medikament zu nehmen. Das hört sich zynisch an, das ist mir klar, aber es stimmt. Nehmen wir an, jemand ist in einen Schacht gefallen und kann sich nicht befreien. Ich biete ihm an, ihm eine Leiter zu verkaufen, allerdings zu einem extrem hohen Preis: Nehme ich ihm etwas weg oder gebe ich ihm etwas? Persönlich würde ich das als unmoralisch empfinden, aber das ist meine Privatmeinung; mit welchem Recht wende ich diese Ansicht zB auf Vasella an?

Du kannst natürlich sagen, der Staat müsse das tun, aber gratis kann er das auch nicht. Dann zahle ich einfach Steuern nach Bern statt Krankenkassenprämien nach wo auch immer. Immerhin würde der Staat nicht gewinnstrebig handeln, Medikamente wären also billiger? Stimmt, aber ohne Wettbewerb forscht der Staat niemals so, wie es die Novartis tut, die mit Roche, Glaxo, Pfizer, Ely Lilly, Bayer, Smith & Nephew usw. usw. im Wettbewerb steht.

Im Grunde sind alle Monopole, einschliesslich geistigem oder sonstigem Eigentum, nichts weiter als Investitionsanreize. Wenn ich ein Haus nicht behalten kann, baue ich es nicht; wenn ich nicht ein Patent verwerten kann, forsche ich nicht. Diese Monopole sind nicht eine Form von Diebstahl, sondern die Gegenleistung der Gesellschaft für das Risiko, das mit einer Investition verbunden ist.

Man kann entweder zurück in die Höhle, oder man will kleinere und grössere Annehmlichkeiten wie zB Medikamente. Dieses Bedürfnis kostet halt was, und wer sich in die Lage versetzt, es zu erfüllen, kann dabei reich werden. Na und? Das fördert bloss den Wettbewerb um gute Geschäftsideen.

PS: Die Novartis hat den Hauptsitz ja in der Schweiz - man zeige mir eine einzige Person in der Schweiz, die ernsthafte gesundheitliche Probleme hat, weil sie ein Medikament nicht bezahlen kann...

Anonym hat gesagt…

Ein progressives Steuersystem soll sozialen Ausgleich schaffen. Auch das ist ein zentraler Punkt unserer Demokratie. Gleichheit soll auch Chancengleichheit sein und mit sozialem Ausgleich strebt man eine Annäherung daran an. Was kann eine Person dafür, wenn sie in eine arme Familie geboren ist? Oder noch drastischer: Warum haben gewisse Menschen Pech, mit einem tiefen Intelligenzquotienten geboren zu sein?
Positiv formuliert, hilft man Benachteiligten. Negativ gleicht man die Reichen an, indem man ihnen das Geld weg nimmt. Ich hatte schon immer eine positive Einstellung zum Leben...

Philippe Wampfler hat gesagt…

Dass Krankenkassenprämien nicht bezahlt werden können, sondern bezahlt werden müssen, ist nur ein Problem deiner Argumentation. (Und nebenbei der Grund, warum sich in der Schweiz alle Menschen die meisten Medikamente leisten können - weil es eine Steuer dafür gibt.)
Das größere Problem ist der überholte liberale Ansatz zu Verteidigung von Monopolen und geistigem Eigentum. Warum überholt? Die Komplexität der Dienstleistungen und Produkte, welche auf dem Markt angeboten werden, verhindert echte Konkurrenz. Niemand kann Novartis bei den von ihnen angebotenen Medikamenten gefährlich werden, ohne schon über eine riesige Infrastruktur und das nötige Knowhow zu verfügen - d.h. es wird über kurz oder lang bei einigen Medikamenten keine Konkurrenz geben. Deswgen gibt es auch keinen Anreiz, diese Produkte zu verbessern - und für den Konsumenten entsprechend keine Wahlmöglichkeit, sondern eine Form von Abhängigkeit.
Die Sache mit dem geistigen Eigentum ist totaler Quatsch. Forscher forschen, weil sie dafür bezahlt werden und vom Staat dafür ausgebildet worden sind. Das Eigentum an ihren Patenten erlangt aber eine Firma. Genau so gut könnte der Staat Leute forschen lassen und ihre Ergebnisse veröffentlichen. Dass er das mangels Konkurrenz nicht tun würde, leuchtet überhaupt nicht ein (genau so wenig, wie eine staatliche Krankenkasse schlechtere Leistungen erbringen würde). Zudem: Wie kann man eine Information besitzen?
Vielleicht kurz und knapp: In einer Modellwirtschaft, in denen genügend Ressourcen vorhanden sind, die von allen genutzt werden können, und Güter mit einem überschaubaren Aufwand herzustellen sind, ihre Qualität von den Konsumenten beurteilt werden kann (und auch ihr Preis) und eine Instanz dafür besorgt ist, dass keine Monopole entstehen - da funktionieren deine Theorien sehr schön. Nur leider ist keine dieser Voraussetzungen heute erfüllt.

Nadair hat gesagt…

Das Problem mit den Commons ist doch, dass sie nicht sehr profitergiebig sind. Der Ex-Chef von Nestlé, Peter Brabeck, konnte ja ohne zu erröten begründen, weshalb es auch sinnvoll wäre, das WASSER zu privatisieren! Und zwar überall, auch in Afrika, Nestlé würde dann dort das Wasser kaufen und verkaufen, damit die Menschen es endlich zu schätzen wüssten und es nicht mehr so verschwenden. Das ist schlicht zynisch und entwürdigend.
http://www.youtube.com/watch?v=qyAzxmN2s0w (bei 02:00)
Wasser ist eben ein Gemeingut und sollte mit dem Geld der Allgemeinheit, nämlich via öffentliche Wasserversorgung allen zugänglich gemacht werden.
Die Commons zu pflegen oder wiederzubeleben bedingt eine allgemeine Haltung der gesellschaftlichen Mitverantwortung, einen Blick auf das langfristige Allgemeinwohl, oder auf die Volksgesundheit, oder Chancengleichheit beim Zugang zu Liegestühlen, oder das Sorge tragen zu öffentlichen Räumen und Gütern wie Zugabteilen, oder das Achten auf Kinder, die eben nicht eigene sind, in der Öffentlichkeit, oder schlicht Zivilcourage, lauter altmodische Tugenden.