Freitag, 13. April 2007

Karl Emil Franzos: Pojaz

"Eine Geschichte aus dem Osten" nannte Franzos seinen Roman Pojaz. Der Held des Entwicklungsromans wird Pojaz genannt (von Bajazzo), weil er das Wesen eines Gauklers hat: Er hat die Gabe, Leute und Stimmen nachahmen zu können, und wird schnell zum Unterhalter im galizischen Dorf, in dem er lebt. Es ist geprägt von der jüdischen Sekte der Chassidim, die lebenslustig, aber stark autoritäts- und abergläubisch dargestellt wird. Die Bildung oder Entwicklung des Pojaz findet im Widerstreit seines Wesens (das er von seinem Vater, dem begabtesten "Schnorrer" Galiziens geerbt hat) und seiner Umgebung (die ihn davon abhalten will, dem Muster seines Vaters zu folgen) statt. Dieser Konflikt macht die Qualität dieses Buches aus: Er wird so geschildert, als wäre der Erzähler selbst auch ein Pojaz. Immer wieder entzieht er dem Leser Informationen, geht geschickt mit Anekdoten und Details um, die dann an einer späteren Stelle mit einer Funktion aufgeladen werden können. Zudem weiss er die Sympathien des Lesers geschickt zu steuern; sie liegen zunächst immer bei Pojaz und seinem teilweise tragischen Schicksal, folgen aber auch seinen Mitmenschen, von denen nur einige Ausnahmen nichts Rührendes aufweisen. Der Erzähler versteht es, das galizische Elend plastisch darzustellen, ohne sich in Beschreibungen zu verlieren. Er interessiert sich für alle und alles, lacht mit den Menschen und über sie, ohne aber zu verschleiern, dass die Lebensumstände der Ostjuden nichts Romantisches an sich haben.
Da der Pojaz sich zum Theater berufen fühlt und alles in seinem Leben diesem Drang unterordnet, ist der Roman auch einer Art Lektüre von Goethes Meister, allerdings weniger konstruiert, weniger bedeutungsschwanger, dafür aufgeladen mit einer gewissen Exotik und unterlegt mit so viel Humor, dass man oft laut rauslachen muss.
Der Pojaz kann bedingungslos empfohlen werden.

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