Montag, 22. Juni 2009

Verdachtsmomente

Wenn man oft Zug und Bus fährt, mustert man seine Zeitgenossen. Und man entwickelt ein Zeichensystem, aus dem darauf schließt, ob man neben dieser Person pendeln, eine Mahlzeit einnehmen oder die Zeitung lesen möchte - wenn man denn die Wahl hat. Einige dieser Indikatoren seien hier preisgegeben:

  1. Übermässiges Parfum. Junge Frauen, die sich eben in Kokosbutter vom Body Shop oder in Blütenzauber von L'Occitane en Provence gebadet haben, ihren Duft mit 15 schnellen Sprühdosen »Oops I did it again« von Britney aufgefrischt oder allenfalls grad daran sind, sich in der S-Bahn neu zu schminken, sind verdächtig. Ebenso aufdringlich parfümierte Männer, aber die gibt es eher selten.
  2. Bierdosen. Es gibt Leute, die trinken in der S-Bahn morgens um halb sieben ein grosses Feldschlösschen. Aber die Aussage gilt fast allgemein: Eine grosse Dose Prix-Garantie-Bier ist ein guter Indikator, ausser man fährt mit dem Bus an ein Open Air oder um halb zehn abends an die Langstrasse, weil man da keinen Platz finden würde, wenn man diese Regel beherzigte.
  3. Kleider mit Aufdruck oder Tatoos drauf, Don Ed Hardy insbesondere. Ein deutliches Zeichen, dass man bald ein Handygespräch mitverfolgen darf, das man nicht geniessen, dem man sich aber auch nicht entziehen kann.
  4. Handy, aus deren Lautsprecher irgendwas scherbelt. Wer Musik hört, welche man auch aus einem Handylautsprecher hören möchte, hört Musik, die ich sicher nicht hören möchte. Problem: Hier muss man nicht nur ein Abteil weiter gehen, sondern gleich den Waggon wechseln.
  5. Mitgeführte Haustiere. Seien es Hunde, welche in Taschen gepackt sind, Hunde, welche unter dem Sitz schlafen oder Hunde, die einem in den Schoß geifern - ein Problem bahnt sich an. Das gleiche gilt aber auch für Tiere, für die ich Wohlwollen aufbringen kann.
  6. Pulver auf dem Tischchen, das mit einer Coop-Superkarte bearbeitet wird. Ein gutes Zeichen, das man bei der nächsten Dopingkontrolle auffliegen könnte, auch wenn man Martina Hingis ist.
  7. Kinder, die Mützen tragen, welche zu farbig sind. Ein Zeichen dafür, dass sie sich auf einem Schulausflug befinden und aus sozialen Gründen bald Dinge tun werden, welche ihre Begleitpersonen vor erzieherische Herausforderungen stellen.
Sobald ich diesen Post veröffentliche, werden mir noch weitere Zeichen in den Sinn kommen - vielleicht sind mir aber auch sonst einige entgangen…

(Ah ja, sitze möchte ich neben der Dame im Deux-Pièce oder dem Herrn im Anzug, die allenfalls einen Becher Espresso mit sich führen, auf ihrem Laptop klimpern und allenfalls die NZZ lesen. Auch wenn ich nicht so formal gekleidet bin - irgendwie würde ich gerne neben mir sitzen, auch wenn ich meistens drei Plätze beanspruche und nicht möchte, dass sich jemand neben mich setzt…)

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich verstehe, wenn man seine Ruhe haben möchte. Von einer Primarschulklasse auf dem Heimweg von der Schulreise begleitet zu werden ist nicht sonderlich angeneh. Genauso mühsam sind 50 Oberstufenschüler, die abends den Bus stürmen. Im Bus hat man aber keine Möglichkeit auszuweichen. Deshalb schlage ich zwei Massnahmen vor:
- Kopfhörer an (habe ich sowieso meistens im Bus), Kopf an die Scheibe und etwas schlafen
- sich köstlich amüsieren

Der zweite Punkt funktioniert leider nicht immer. Die Fähigkeit sich zu amüsieren bedingt sowohl einen gelassenen Gemütszustand wie auch nicht allzu primitive Mitfahrende, die im Stande sind einen Satz mit mehr als 3 Wörtern zu konstruieren.

Philippe Wampfler hat gesagt…

Das stimmt - es gibt noch die Brille der Sozialstudie: Man stellt sich einfach vor, man untersuche das Verhalten, das man gerade beobachtet. Grundsätzlich bin ich auch für Gelassenheit und Heiterkeit - ich spreche aber vom allgemeinen, grundsätzlichen Pendeln, mal mit guter Laune, mal gestresst, mal stinkig.

Anonym hat gesagt…

"...irgendwie würde ich gerne neben mir sitzen, auch wenn ich meistens drei Plätze beanspruche und nicht möchte, dass sich jemand neben mich setzt…)"

Hättest Du diesen Satz zuerst geschrieben, hättest Du Dir den ganzen Text ersparen können. :)

Hast Du Zivilcourage, um den Satz an erste Stelle zu setzen und dann weiterzuschreiben... ?

Philippe Wampfler hat gesagt…

Hätte ich den Satz an den Anfang gesetzt, hätte ich mir erstens diese Pointe versaut - und zweitens ist mir das erst während des Lesens bewusst geworden, dass ich vielleicht auch nicht der Nachbar bin, den man sich auswählen würde… 

Anonym hat gesagt…

Am besten man bleibt zu Hause und schützt sich vor Erlebnissen. (; - Just kidding!
Ich frage mich gerade, ob ich sagen könnte, neben wem ich mich gerne hinsetzen würde in der Bahn. Scheinbar nicht, nur die Menge Ausgrenzen.