Ganz einfach: Jugendgewalt ist ein mediales und politisches Scheinproblem. Einerseits gibt es keine Statistiken, die eine Zunahme von Jugendgewalt belegen können, denn mit jeder Art von solcher Statistik ist die Frage verbunden, wie viele der tatsächlich erfolgten Delikte von offiziellen Stellen erfasst werden können. Andererseits wird es durch die politische und mediale Aufmerksamkeit zu einem scheinbar realen Problem, das unsere Wahrnehmung und Gefühle prägt. Am Bahnhof Kreuzlingen, in Meilen, in Baden und an vielen anderen Orten hat »man« Angst, weil man »weiß«, dass jugendliche Täter grundlos, überall und mit unglaublicher Brutalität zuschlagen.
Es ist deshalb umso bedenklicher, dass sich linke Parteien von rechten dieses Thema auf die Agenda setzen lassen, denn es ist ein populistisches Thema, bei dem weder echte politische Lösungen möglich sind noch sind sie nötig. (Die Ausnahmen stellen wenige »Intensivtäter« dar, welche mit jungedstrafrechtlichen Massnahmen kaum motiviert werden können, einen geregelten Lebensstil anzunehmen, aber die gabs schon immer.)
Was sollte also getan werden? Echte Themen ähnlich platzieren, wie das die SVP immer wieder schafft. Was sind echte Themen?
- Die drohende Entmischung urbaner Gebiete beispielsweise, in denen Quartiere entstehen, wo nur noch reiche Menschen wohnen, zur Schule gehen, einkaufen, Steuern zahlen etc. und solche, wo nur noch arme Menschen leben.
- Überkommene Strukturen in der Schweiz, zum Beispiel föderalistische. Wenn ich im Kanton Schwyz oder Obwalden wohnen, und in der ganzen Schweiz arbeiten kann, dann kann es nicht sinnvoll sein, dass der Kanton Schwyz oder Obwalden eigene Gesetze und eine eigene Administration hat; und sich dann z.B. der Kanton Obwalden weigert, sich an den kulturellen Kosten der Metropolen angemessen zu beteiligen. Aber auch viele andere althergebrchte Strukturen gehören geändert; die Schweiz könnte ein modernes Land werden, denkt, sie sei ein fast-modernes Land und vergisst, dass sie nicht nur hinsichtlich des Frauenstimmrechts einige Jahre Verspätung eingefahren hat, sondern diese Verspätung nie aufgeholt hat und auch nichts dafür getan hat.
- Das wäre also ein weiteres Thema: Eine moderne Schweiz. Vorstellungen, wie ein Land funktionieren könnte, nicht wie es schon immer funktioniert hat. Ein Land, das nicht auf einem diffusen Reichtum basiert ist, den man für verdient hält, obwohl man nicht recht weiss, wie man ihn verdient hat (und wehe, jemand sagt etwas gegen das Bankgeheimnis).
- Und dazu gehört auch, dass man Minderheiten respektiert, sie kennen lernt, wahrnimmt und ihnen einen Platz gibt. Und zwar nicht Afropfingsten und Europride, sondern einen Platz in der Nähe der Leute, die sich in der Merheit fühlen.
- Ein weiteres Thema wäre, was in der Schweizer Medienlandschaft passiert. Die Qualitätseinbusse, die exemplarisch beim Tages-Anzeiger studiert werden kann, ist beträchtlich. Themen werden ausser bei der NZZ bei allen Tageszeitungen durch Scheinbedürfnisse der Leserschaft gesetzt, nicht durch sachliche Analyse der Geschehnisse. Natürlich auch deshalb, weil Medienarbeitende keine Zeit haben, um zu arbeiten, weil ihre Arbeit sich bezahlt machen muss, und sie keinen höheren Idealen als Leserzahlen verpflichtet sind.
- Und viele Themen, die echte Themen sind, habe ich sicher übersehen.
4 Kommentare:
Der Qualitätsschwund beim Tages-Anzeiger ist tatsächlich besorgnisserregend. Besonders die Online-Ausgabe ist immer mehr ein Raum für subjektiven- populistischen Journalismus. Dass der Tagi immer häufiger Blick-Tendenzen annimmt ist richtig traurig mitanzusehen.
So bedauerlich es auch ist, aber den grössten Qualitätsverlust hat momentan eindeutig die NZZ zu verzeichnen; die Ausgaben werden immer dünner, Rubriken werden ersatz- und kommentarlos gestrichen, die Redaktion ausgedünnt, und auch das Lektorat hat spürbar nachgelassen.
Die NZZ hat wenigstens noch ein Lektorat.
coulden't agree more!
scheiss medienhypes.
etwas mehr fokus auf vorgänge statt vorfälle wäre bereits sehr hilfreich.
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