Montag, 29. Juni 2009

Gibt es Alternativen?

Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, daß Religion nicht mehr Reform des Seins sondern dessen Zertrümmerung ist. [Walter Benjamin, Quelle (pdf)]
Die Frage, ob es Alternativen zum Kapitalismus gebe, wird derzeit breit diskutiert und ebenso breit negiert. Nur weil sich historisch keine Alternativen haben durchsetzen können, heißt das aber nicht, dass sich solche nicht finden ließen. Zunächst kann man sich fragen, aufgrund welcher Kriterien sich ein Wirtschaftssystem durchsetzen kann. Dazu nur ein Gedanke: In kapitalistischen Systemen entscheiden Menschen oft so, als wären sie potentiell reich. Sie lassen sich auf einen »capitalist dream« ein, der zwar jedem und jeder die Möglichkeit gibt, reich zu werden - und dabei außer acht lässt, dass dieser Reichtum mit der Armut anderer Menschen erkauft wird. Würde man sich an den Ärmsten orientieren - wie das Gerechtigkeitstheoretiker vorschlagen -, hätte sich der Kapitalismus wohl kaum durchgesetzt.
So kommt es auch, dass die lösbaren Probleme des Kapitalismus nicht gelöst werden können. Man könnte nun Kapitalismus durch eine Reihe von Gesetzen beschränken, z.B. die Löhne von Managern beschneiden etc. Solche Vorschläge scheinen dem Prinzip des Kapitalismus zu widersprechen, wonach Preise rational sind: Wenn es jemanden gibt, der für die Leistung dieses Managers so viel zahlen will, dann darf er das m.E.
Probleme gibt es grundsätzlich vier:
  1. Kapitalistische Ordnungen sind dann fair, wenn sie überschaubare Systeme betreffen. Ein Austausch von Waren und Geldern über Kulturen (und Systeme) hinweg muss zu Paradoxien und Ungerechtigkeiten führen. Und sei es nur, dass der Kapitalgeber Leute ausnutzen kann, ohne von ihnen damit konfrontiert zu weden, ohne überhaupt ein Gesicht zu haben. Wer ist denn letztlich dafür verantwortlich, dass in China Wanderarbeiter eigentliche Sklavenarbeit verrichten müssen? Niemand, natürlich. Oder: Wir alle, weil diese Leute in eine System eingebunden sind, aus dem wir unsere Kleider und Gadgets beziehen.
  2. Gewisse Dinge können niemandem gehören, weil es niemanden gibt, der sie verkaufen könnte, sie sind Allgemeingut. Dazu gehört das Land und alle Ressourcen. Sinnvoll wäre es, Pachtpreise für Land zu bezahlen, welche der Allgemeinheit zukommen.
  3. Geld muss zirkulieren. Es darf keine Anreize geben, Geld dem Fluss zu entziehen. Hier könnten wohl volkswirtschaftliche Korrekturen vorgenommen werden, die ich im Detail nicht verstehe. Grundsätzlich scheint das System immer dann gut zu funktionieren, wenn verschiedene echte Bedürfnisse durch den Markt gegeneinander abgewogen werden müssen. Das Bedürfnis, aus viel Geld mehr Geld zu machen, sollte aber dazu nicht gehören - und es wird eben nur durch die Leute gestützt, die sich denken, dass sie auch einmal erben werden, dass sie auch einmal mit einer krassen Steuerprogression konfrontiert sind.
  4. Es darf nichts gratis geben. Wenn etwas gratis ist, heißt das, dass die Allgemeinheit für die Kosten aufkommt. Das Schwarzfahrerproblem ist in zu vielen Bereichen vorhanden.
Die Diskussion solcher Probleme ist nicht neu und eigentlich auch krisenunabhängig. Fazit wäre: Die Freiheit des kapitalistischen Systems lässt sich vereinbaren mit einem besseren System, wenn seine Grösse beschränkt, sein Geldfluss gesichert, Besitz von Allgemeingut verunmöglicht und sämtliche Kosten erfasst werden.

Montag, 22. Juni 2009

Verdachtsmomente

Wenn man oft Zug und Bus fährt, mustert man seine Zeitgenossen. Und man entwickelt ein Zeichensystem, aus dem darauf schließt, ob man neben dieser Person pendeln, eine Mahlzeit einnehmen oder die Zeitung lesen möchte - wenn man denn die Wahl hat. Einige dieser Indikatoren seien hier preisgegeben:

  1. Übermässiges Parfum. Junge Frauen, die sich eben in Kokosbutter vom Body Shop oder in Blütenzauber von L'Occitane en Provence gebadet haben, ihren Duft mit 15 schnellen Sprühdosen »Oops I did it again« von Britney aufgefrischt oder allenfalls grad daran sind, sich in der S-Bahn neu zu schminken, sind verdächtig. Ebenso aufdringlich parfümierte Männer, aber die gibt es eher selten.
  2. Bierdosen. Es gibt Leute, die trinken in der S-Bahn morgens um halb sieben ein grosses Feldschlösschen. Aber die Aussage gilt fast allgemein: Eine grosse Dose Prix-Garantie-Bier ist ein guter Indikator, ausser man fährt mit dem Bus an ein Open Air oder um halb zehn abends an die Langstrasse, weil man da keinen Platz finden würde, wenn man diese Regel beherzigte.
  3. Kleider mit Aufdruck oder Tatoos drauf, Don Ed Hardy insbesondere. Ein deutliches Zeichen, dass man bald ein Handygespräch mitverfolgen darf, das man nicht geniessen, dem man sich aber auch nicht entziehen kann.
  4. Handy, aus deren Lautsprecher irgendwas scherbelt. Wer Musik hört, welche man auch aus einem Handylautsprecher hören möchte, hört Musik, die ich sicher nicht hören möchte. Problem: Hier muss man nicht nur ein Abteil weiter gehen, sondern gleich den Waggon wechseln.
  5. Mitgeführte Haustiere. Seien es Hunde, welche in Taschen gepackt sind, Hunde, welche unter dem Sitz schlafen oder Hunde, die einem in den Schoß geifern - ein Problem bahnt sich an. Das gleiche gilt aber auch für Tiere, für die ich Wohlwollen aufbringen kann.
  6. Pulver auf dem Tischchen, das mit einer Coop-Superkarte bearbeitet wird. Ein gutes Zeichen, das man bei der nächsten Dopingkontrolle auffliegen könnte, auch wenn man Martina Hingis ist.
  7. Kinder, die Mützen tragen, welche zu farbig sind. Ein Zeichen dafür, dass sie sich auf einem Schulausflug befinden und aus sozialen Gründen bald Dinge tun werden, welche ihre Begleitpersonen vor erzieherische Herausforderungen stellen.
Sobald ich diesen Post veröffentliche, werden mir noch weitere Zeichen in den Sinn kommen - vielleicht sind mir aber auch sonst einige entgangen…

(Ah ja, sitze möchte ich neben der Dame im Deux-Pièce oder dem Herrn im Anzug, die allenfalls einen Becher Espresso mit sich führen, auf ihrem Laptop klimpern und allenfalls die NZZ lesen. Auch wenn ich nicht so formal gekleidet bin - irgendwie würde ich gerne neben mir sitzen, auch wenn ich meistens drei Plätze beanspruche und nicht möchte, dass sich jemand neben mich setzt…)

Montag, 15. Juni 2009

Gottes geniale Idee

Ein »Bündnis Christliche Schweiz« macht mit einer Plakatkampagne auf sich aufmerksam: Abgesehen von der Frage, ob Gott Ideen habe, ob einzelne davon das Prädikat »genial« verdienen und ob die Familie eine Idee Gottes sei, kann man sich fragen, woher eine Organisation die Motivation und die finanziellen Ressourcen bezieht, um solche Plakate aufhängen zu lassen.
Ein Blick auf die Homepage des »Bündnisses« macht alles klar: Hier haben sich radikal-konservative Organisationen zusammengeschlossen, um Homophobie, Nationalismus und familienfeindlicher Politik einen harmlosen Anstrich zu geben.
So fröhlich die abgebildete Familie aussehen mag, so wenig Grund hat sie nämlich dazu: Der Vater darf zwar die ganze Familie ernähren, auch wenn er einen Beruf hat, in dem die Bezahlung dazu nicht ausreicht. Die Mutter arbeitet nur in der Familie, weil ein Krippenplatz grundsätzlich nicht infrage kommt, da Krippen und Horte die Familie auf eine obskure Art und Weise zu bedrohen scheinen. Die Tochter bekommt bei einer ungewollten Schwangerschaft während ihres Studiums ein Problem, weil eine Abtreibung in dieser Familie undenkbar ist, während der Sohn bei seinem coming-out in eine Therapie muss, da Homosexualität nichts anderes als eine Krankheit ist, was sich nach der Logik der beteiligten Organisation daran ablesen lässt, dass Homosexuelle sich öfter umbringen als Heterosexuelle. Eine Ehekrise darf es nicht geben, denn diese Beziehung muss gemäss Gottes genialer Idee ewig halten. Zu guter Letzt ist diese Familie äußerst stolz darauf, Schweizer zu sein, denn die Schweiz ist von Gott mit Frieden und Reichtum beschenkt worden, wahrscheinlich, weil schon im Bundesbrief Gott erwähnt worden ist.
Andere Familien sind - besser könnte man es nicht formulieren - Pseudofamilien. In diesem Sinne hoffen wir, dass Gott noch weitere geniale Ideen gehabt habt, welche Anlass zu Plakatkampagnen geben.

Montag, 8. Juni 2009

Münz

Nicht nur trage ich ständig mehr Münz in meinen Taschen, als akkustisch und physikalisch angenehm wäre, sondern mir gefällt irgendwie auch das Wort Münz, das ich so noch in keiner anderen Sprache angetroffen habe.
Ich mag aber auch andere Dinge, z.B. Glacé (auch ein Wort, das durch Eis irgendwie nicht adäquat wiedergegeben werden kann). Neuerdings (d.h. wohl seit ca. fünf Jahren, so kurz werden fünf Jahre, wenn man selber alt wird), neuerdings werden also solche Glacés an Kiosken (noch so ein Wort) eingescant und weil parallel Leute noch Lebensversicherungen abschliessen und Reisen buchen können an Kiosken, kann das Einkaufen von einem Glacé länger dauern, als die Wartezeit auf den Zug zuliesse. Deshalb habe ich kaum die Musse, auf das Wechselgeld zu warten, das ich erhalte, und renne weg. Dieses Wechselgeld ist wirklich unnötig: Warum kostet meine Glacé nicht 3 Franken oder 2 Franken, sondern 2.90 oder 1.90? Trivialpsychologisch mag das wohl ein Kaufanreiz sein, der sich aber wohl mittlerweile etwas abgenutzt hat.
Deshalb: Schaffen wir doch Münz ab. Es gibt Länder (e.g. Norwegen), in denen die kleinste Münze auch noch Kaufkraft hat. Eigentlich brauchen wir keine Unterteilungen, die kleiner als ein Franken sind. Warenhäuser können runden, billige Waren einfach so gebündelt werden, dass ihre Preise in ganzen Franken zu bezahlen sind. Das Rätsel, das sich nebenher noch stellt, ist: Warum entspricht das »Füfzgi« nicht proportional seinem Wert?

Sonntag, 7. Juni 2009

Natalie Rickli braucht einen Watchblog - Strafen

Wenn eine junge blonde Frau rassistische Positionen vertritt, Statistiken bewusst falsch auslegt und sich mit unsachlicher Politik medial profiliert, dann spielt die Tatsache, dass sie jung und blond ist eigentlich keine Rolle. Es sei denn, diese Tatsache lasse einen übersehen, dass hier unfaire, verlogene und dumme Politk gemacht wird, weil man sowas eigentlich eher von den die junge blonde Dame umgebenden Herren erwarten würde.
Ich werde deshalb Frau Rickli ein wenig auf die Finger bzw. auf die Vorstösse sehen und hier darüber berichten, auch wenn das nicht alle gleich interessieren mag. Der Tagi berichtet hier, dass sich Frau Rickli mit fünf Vorstössen Respekt verschafft habe. Diese fünf Vorstösse betreffen alle die so genannte »Kuscheljustiz« und sind geeignet, auch die Boulevardpresse zu beeindrucken. Grundsätzlich fordert Frau Rickli höhere Strafen für Gewalttäter und Vergewaltiger, z.B. für Vergewaltiger von Kindern unter 12 Jahren. Aus der ebenfalls verlinkten Antwort des Departements kann man erkennen, wo das Problem liegt: Niemand kann sich wirklich gegen höhere Strafen für solche Täter aussprechen, weil man dann jemanden zu verteidigen scheint, der eine verwerfliche Tat begangen hat. Dennoch gibt es strafrechtliche Abwägungen, welche auf empirischen Studien und juristischen Prinzipien beruhen, welche Frau Rickli entweder ignoriert oder nicht kennt. Das Problem liegt darin, dass diese Forderung nach strengeren Strafen jedes Jahr wiederholt werden kann, bis man irgendwann bei der Todesstrafe angelangt ist.
Allgemein sind strafrechtliche Diskussionen (v.a. in Bezug auf Einzelfälle) geprägt von einem unreflektierten Umgang mit der Funktion von Strafen. Strafen haben hauptsächlich eine gesellschaftliche Funktion - wir sind erleichtert, wenn die Leute, die sich nicht an die Regeln halten, dafür büssen. Diese Sühne ist berechtigt - aber nur in einem Mass, welches in der aktuellen Situation mehr als gefährdet ist.

Montag, 1. Juni 2009

Ein Thema, das kein Thema ist - und echte Themen

Ganz einfach: Jugendgewalt ist ein mediales und politisches Scheinproblem. Einerseits gibt es keine Statistiken, die eine Zunahme von Jugendgewalt belegen können, denn mit jeder Art von solcher Statistik ist die Frage verbunden, wie viele der tatsächlich erfolgten Delikte von offiziellen Stellen erfasst werden können. Andererseits wird es durch die politische und mediale Aufmerksamkeit zu einem scheinbar realen Problem, das unsere Wahrnehmung und Gefühle prägt. Am Bahnhof Kreuzlingen, in Meilen, in Baden und an vielen anderen Orten hat »man« Angst, weil man »weiß«, dass jugendliche Täter grundlos, überall und mit unglaublicher Brutalität zuschlagen.
Es ist deshalb umso bedenklicher, dass sich linke Parteien von rechten dieses Thema auf die Agenda setzen lassen, denn es ist ein populistisches Thema, bei dem weder echte politische Lösungen möglich sind noch sind sie nötig. (Die Ausnahmen stellen wenige »Intensivtäter« dar, welche mit jungedstrafrechtlichen Massnahmen kaum motiviert werden können, einen geregelten Lebensstil anzunehmen, aber die gabs schon immer.)
Was sollte also getan werden? Echte Themen ähnlich platzieren, wie das die SVP immer wieder schafft. Was sind echte Themen?

  • Die drohende Entmischung urbaner Gebiete beispielsweise, in denen Quartiere entstehen, wo nur noch reiche Menschen wohnen, zur Schule gehen, einkaufen, Steuern zahlen etc. und solche, wo nur noch arme Menschen leben.
  • Überkommene Strukturen in der Schweiz, zum Beispiel föderalistische. Wenn ich im Kanton Schwyz oder Obwalden wohnen, und in der ganzen Schweiz arbeiten kann, dann kann es nicht sinnvoll sein, dass der Kanton Schwyz oder Obwalden eigene Gesetze und eine eigene Administration hat; und sich dann z.B. der Kanton Obwalden weigert, sich an den kulturellen Kosten der Metropolen angemessen zu beteiligen. Aber auch viele andere althergebrchte Strukturen gehören geändert; die Schweiz könnte ein modernes Land werden, denkt, sie sei ein fast-modernes Land und vergisst, dass sie nicht nur hinsichtlich des Frauenstimmrechts einige Jahre Verspätung eingefahren hat, sondern diese Verspätung nie aufgeholt hat und auch nichts dafür getan hat.
  • Das wäre also ein weiteres Thema: Eine moderne Schweiz. Vorstellungen, wie ein Land funktionieren könnte, nicht wie es schon immer funktioniert hat. Ein Land, das nicht auf einem diffusen Reichtum basiert ist, den man für verdient hält, obwohl man nicht recht weiss, wie man ihn verdient hat (und wehe, jemand sagt etwas gegen das Bankgeheimnis).
  • Und dazu gehört auch, dass man Minderheiten respektiert, sie kennen lernt, wahrnimmt und ihnen einen Platz gibt. Und zwar nicht Afropfingsten und Europride, sondern einen Platz in der Nähe der Leute, die sich in der Merheit fühlen.
  • Ein weiteres Thema wäre, was in der Schweizer Medienlandschaft passiert. Die Qualitätseinbusse, die exemplarisch beim Tages-Anzeiger studiert werden kann, ist beträchtlich. Themen werden ausser bei der NZZ bei allen Tageszeitungen durch Scheinbedürfnisse der Leserschaft gesetzt, nicht durch sachliche Analyse der Geschehnisse. Natürlich auch deshalb, weil Medienarbeitende keine Zeit haben, um zu arbeiten, weil ihre Arbeit sich bezahlt machen muss, und sie keinen höheren Idealen als Leserzahlen verpflichtet sind.
  • Und viele Themen, die echte Themen sind, habe ich sicher übersehen.